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Klimaschutzpolitik: Warum ist Deutschland ein Vorreiter im internationalen Vergleich? Zur Rolle von Handlungskapazitäten und Pfadabhängigkeit
[Climate Protection Policy: Why is Germany, by international comparison, a frontrunner? On the role of capacities for action and path dependency]

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  • Weidner, Helmut

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Die deutsche Klimapolitik gehört zu den anspruchvollsten und effektivsten im internationalen Vergleich. Während die Treibhausgas-Emissionen in etlichen Industrieländern auch nach Abschluss der UN-Klimarahmenkonvention (1992) gestiegen sind, sanken sie in Deutschland um rund 18 Prozent. Die Veränderungen im ostdeutschen Energieund Industriesektor haben dazu wesentlich, aber nicht alles, beigetragen. Auch um den Stand der internationalen Klimaverhandlungen wäre es ohne das deutsche Engagement weit schlechter bestellt. Was treibt Deutschland zu dieser Vorreiter- und Durchhaltepolitik im globalen Klimaschutz, eine Politik, die über einen langen Zeitraum nur selten schwächelte, trotz zwischenzeitlich wechselnder Regierungen, stark veränderter sozioökonomischer Rahmenbedingungen, erschwerter Bedingungen für weitergehende Senkung der Treibhausgas-Emissionen, erheblicher Konflikte mit machtvollen Wirtschaftslobbyisten etwa der Energie- und Automobilbranchen und einer bis heute andauernden mehrheitlichen Ablehnung der sogenannten Öko-Steuer durch die Bevölkerung? In diesem Beitrag werden verschiedene Erklärungsmöglichkeiten diskutiert, insbesondere der Einfluss eines „weitsichtigen Eigeninteresses“ an globalem Klimaschutz in Politik und Gesellschaft, die Eigendynamik institutioneller und anderer Kapazitäten für Klimaschutz und die politikprägende Kraft globaler Gerechtigkeitsnormen. Im Ergebnis lässt sich die deutsche Klimapolitik deuten als Summe der Kombinationseffekte von (a) begünstigenden Strukturen, Institutionen und Akteurskonfigurationen, die sich seit den 1970er Jahren im Verlauf der konfliktreichen Entwicklungen in der Luftreinhaltepolitik herausgebildet und im Sinne einer „positiven Pfadabhängigkeit“ gewirkt haben, und (b) einer weitverbreiteten (gleichwohl politisch fragilen) Sensibilisierung für globale Verantwortlichkeit und Verantwortung gegenüber „dem Rest der Welt“ im Sinne der hohen Akzeptanz von globaler Fairness als klimapolitische Handlungsnorm. Gleichwohl lässt die klare Dominanz des Konzepts der (national orientierten) „ökologischen Modernisierung“ über dem der (globalen bis kosmophilen) „nachhaltigen Entwicklung“ bei der Gestaltung und Interpretation der Klimapolitik vermuten, dass einer progressiven globalen Klimapolitik wesentlich deshalb zugestimmt wird, weil sowohl eine gesamtwirtschaftlich als auch persönlich positive Kosten-Nutzen-Bilanz erwartet wird. Wo im Falle eines starken Zielkonfliktes zwischen nationalen und globalen Gemeinwohlinteressen die Akzeptanzgrenze für nationale Vorreiterpolitik liegen könnte, ist ungewiss aufgrund der weitgehend ignorierten und nicht thematisierten Wissenslücken zu den sozioökonomischen Verteilungseffekten der Klimapolitik. Die nationalen distributiven Effekte der Klimapolitik – die Frage nach den Nutznießern und den finanziell belasteten Gruppen in Deutschland – werden hierzulande so wenig öffentlich thematisiert, als gäbe es ein „klimapolitisch-engagiertes Schweigekartell“: Weder Umweltpolitiker noch die einschlägige scientific community haben bislang die nationalen Verteilungseffekte der gesamten bisherigen klimapolitischen Maßnahmen (einschließlich Emissionshandelssystem) zum öffentlichen Thema gemacht, geschweige denn die erheblichen zusätzlichen Belastungen, die durch die angestrebten Ziele und die Verpflichtungen insbesondere gegenüber Entwicklungs- und Schwellenländern im Anschluss an das Kyoto-Protokoll zu erwarten sind. Dies gilt auch für Nichtregierungsorganisationen (zivilgesellschaftliche Organisationen des Umwelt- und Entwicklungshilfebereichs), die ansonsten dezidiert für eine global gerechte Klimapolitik eintreten. Infolge dieses systematisch verzerrten klimapolitischen (Gerechtigkeits-) Diskurses liegt nur scheinbar eine hohe Zustimmung der Bevölkerung zur staatlichen Klimapolitik und zu den (oft weit darüber hinausgehenden) Forderungen der Nichtregierungsorganisationen nach globaler Gerechtigkeit vor: Es handelt sich eher um eine uninformierte Zustimmung als um einen informierten Konsens. Da außerdem die wenigen Untersuchungen zu den nationalen Verteilungsfolgen bisheriger Klimapolitik (theoretisch erwartbare) regressive Verteilungseffekte aufzeigen (d. h. sozial schwächere Gruppen werden überproportional belastet), muss die Frage umso mehr offen bleiben, wieweit mit einer sozial unfairen nationalen Klimapolitik das Ziel einer global gerechten Klimapolitik erreicht werden kann. Sieht man jedoch ab von dieser „inconvenient truth“ einer inländisch zunehmend verteilungsungerechten Klimapolitik, und auch von dem „demokratietheoretischen Schönheitsfehler“ eines unvollständigen und verzerrten Klimapolitikfolgen- Diskurses, dann ist die deutsche Klimapolitik im internationalen Vergleich bislang der „relative empirische Optimalfall“ einer staatliche Klimapolitik, die gesamtstaatliche Wohlfahrtsgewinne mit einer Dynamisierung der globalen Klimaschutzpolitik verbindet.

Suggested Citation

  • Weidner, Helmut, 2008. "Klimaschutzpolitik: Warum ist Deutschland ein Vorreiter im internationalen Vergleich? Zur Rolle von Handlungskapazitäten und Pfadabhängigkeit [Climate Protection Policy: Why is Germany, by internat," Discussion Papers, Research Unit: Global Governance SP IV 2008-303, WZB Berlin Social Science Center.
  • Handle: RePEc:zbw:wzbtci:spiv2008303
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