Jenseits von „finanzieller Repression“ und „Regulierungseinfang“[Beyond “financial repression” and “regulatory capture” The political economy of the reconfiguration of European financial ecosystems after the crisis]

Die Entwicklung der Beziehung zwischen Staaten und ihren jeweiligen Finanzsystemen seit der Krise ist der Gegestand gegensätzlicher Erzählungen geworden. Auf der einen Seite werden die Regierungsämter oft als Opfer des Finanzsektors beschrieben („Regulierungseinfang"). Auf der anderen Seite werden die Regierungen als Ausbeuter des Finanzsystems dargestellt („finanzielle Repression"). Der vorliegende Aufsatz untersucht diese Debatte im europäischen Kontext und in historischer Perspektive. Die Beziehung zwischen den Regierungen und den Finanzsystemen in Europa lassen sich jedoch nicht auf diese Pole reduzieren; die Kanäle, über die Druck und Einflussnahme ausgeübt werden, sind keine Einbahnstrasse. Die gegenwärtige Reorganisation der nationalen Finanzsysteme in Europa bedeutet keine Rückkehr zu interventionistischen Politikstrategien, wenngleich sie den öffentlichen Organismen und Zentralbanken eine grössere politische und wirtschaftliche Rolle zuerkennt. Dies ist typisch für die neoliberalen Staaten, in denen die vielfältigen Ziele der öffentlichen Verwaltung sich an den Privatinteressen des Finanzsektors ausrichten.