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Scheidung nach 300 Jahren – Schottland will raus

In: Das Vereinigte Königreich

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  • Christian Schnee

Abstract

Zusammenfassung James Ogilvy, der 1. Earl of Seafield und Lordkanzler in der Regierung in Edinburgh, war voreilig, als er 1707 bei der Unterzeichnung des Vertrages über die staatliche Union zwischen Schottland und England notierte: „Das ist nun der Schlusspunkt längst vergangener Zeiten“, die von Rivalität, Misstrauen und Konflikt bestimmt worden seien (Murdoch 2007). Entgegen der Prognose erleben gut 300 Jahre später die alten Zeiten eine Renaissance. Es braut sich ein politisches Unwetter am Horizont zusammen, dem Kommentatoren den wenig melodischen Namen Indyref2 gegeben haben, kurz für Independence Referendum Two, die zweite Abstimmung über Schottlands nationale Unabhängigkeit. Beim ersten Durchgang 2014 triumphierten die Unionisten noch mit schmaler Mehrheit. Das Vereinigte Königreich blieb zwar vereint. Doch nichts war mehr wie zuvor. Der Geist der Sezession war aus der Flasche. Schon bald forderten die Verlierer in Edinburgh einen neuen Anlauf und immer wieder liegen sie in Umfragen über den Ausgang einer zweiten Volksabstimmung vorne. Seit sich Demoskopen mit dem Thema beschäftigen, war der Wunsch, sich von London loszusagen, noch nie so groß. Die Wortführer der Kampagne berufen sich darauf, dass das Ringen Schottlands um politische Eigenständigkeit tief verwurzelt ist in der Geschichte der Nation. Schon in der Antike widersetzten sich hier die Pikten dem römischen Kaiser Septimius Severus, der im Jahr 208 mit 50.000 Legionären nach Schottland marschiert war, um die unbotmäßigen Kämpfer der Highlands zu unterwerfen und ihr Land der Provinz Britannia, dem heutigen England, einzugliedern (Smith 2018). Severus scheiterte, der Konflikt zwischen der englischen und der schottischen Nation blieb. Diese anhaltende politische Entfremdung erklärt der Journalist und Autor Tim Marshall mit geografischer Distanz. Von Großbritanniens Hauptstadt ist Balmoral, die Sommerresidenz der Windsors, so weit entfernt wie Stuttgart oder das Schweizer Bern. „Wir sind alle Gefangene der Geografie,“ argumentiert Marshall in seinem gleichnamigen Buch, das mit Landkarten politische Zeitläufte und historische Wendungen erklärt (Marshall 2015). Es gibt zu denken, dass der Londoner per Bahn und Flugzeug schneller nach Brüssel, Paris und Amsterdam kommt als nach Edinburgh, Stirling und Dundee. Selbst den Mittelmeerhafen Marseille erreicht er dank des Eurostars rascher als Inverness, die Hauptstadt der Highlands. Und während er in Den Haag den Geburtsort des britischen Königs Wilhelm von Oranien besuchen oder in Waterloo das Quartier des Herzogs von Wellington besichtigen kann, begrüßen den reisenden Engländer in Schottland mehr als 20 Statuen in Erinnerung an den Freiheitskämpfer William Wallace, der noch heute von seinen Landsleuten in Ehren gehalten wird dafür, dass er im Jahr 1297 an der Spitze seiner Kämpfer ein englisches Heer bei der Brücke von Stirling niedermetzelte. Erst 1745 endete das Blutvergießen zwischen den beiden Nationen mit der Niederlage von Bonnie Prinz Charly. Der letzte schottische Anwärter auf den englischen Thron war mit seinen Anhängern, den Jakobiten, in den Highlands bei Culloden von den englischen Truppen des Herzogs von Cumberland vernichtend geschlagen worden (Lynch 1992). Nie mehr würden die Schotten englische Soldaten in einer offenen Feldschlacht herausfordern. Was folgte war zunächst englische Vergeltung, später für viele Jahre misstrauische Rivalität zwischen den beiden Nationen. 80 Jahre nach Culloden reiste König George IV. nach Schottland – das erste Mal, dass ein englischer Monarch in friedlicher Absicht den nördlichsten Teil seines Königreiches besuchte (Smith 2000). Aber es ist nicht die allmähliche Versöhnung, sondern die Erinnerung an den Kampf, den heute die SNP wachhält, Schottlands Nationalpartei, deren erklärtes Ziel die Unabhängigkeit ihrer Nation ist, also die Abspaltung von England. Auf ihren Parteitagen appellieren Redner an den Sieg ihres Nationalhelden Robert the Bruce im Jahr 1312 über die Armee des englischen Königs Edward II. im Sumpfland von Bannockburn unweit des Flusses Forth. Als sei es gestern gewesen, zitieren dann SNP-Politiker aus der Deklaration von Abroath, der nach einer Benediktinerabtei in der Grafschaft Angus benannten und von den schottischen Earls unterzeichneten Unabhängigkeitserklärung aus dem Jahr 1320 (Bagehot 2021).

Suggested Citation

  • Christian Schnee, 2022. "Scheidung nach 300 Jahren – Schottland will raus," Springer Books, in: Das Vereinigte Königreich, chapter 25, pages 479-496, Springer.
  • Handle: RePEc:spr:sprchp:978-3-658-37388-7_25
    DOI: 10.1007/978-3-658-37388-7_25
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