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V – Das Vergleichsproblem: Wie weit lassen sich Werte miteinander vergleichen, oder sind sie unvergleichbar, inkommensurabel?

In: Werte: Die Fundamentalprobleme

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  • John Erpenbeck

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Zusammenfassung Mindestens die Hälfte der Antwort auf diese Frage finde ich in einem unvergleichlich ausdrucksstarken Text von Heiner Müller, den ich hier, notgedrungen stark eingekürzt, wiedergebe: „Zwischen der Stadt Rom und der Stadt Alba War ein Streit um Herrschaft. Gegen die Streitenden Standen in Waffen die Etrusker, mächtig. Ihren Streit auszumachen vor dem erwarteten Angriff Stellten sich gegeneinander in Schlachtordnung Die gemeinsam Bedrohten. Die Heerführer Traten jeder vor sein Heer und sagten Einer dem andern: Weil die Schlacht schwächt Sieger und Besiegte, lasst uns das Los werfen Damit ein Mann kämpfe für unsere Stadt Gegen einen Mann, kämpfend für eure Stadt Aufsparend die andern für den gemeinsamen Feind … Die Lose bestimmten zu kämpfen Für Rom einen Horatier, für Alba einen Kuriatier. Der Kuriatier war verlobt der Schwester des Horatiers … Und sie kämpften zwischen den Schlachtreihen Und der Horatier verwundete den Kuriatier Und der Kuriatier sagte mit schwindender Stimme: Schone den Besiegten. Ich bin Deiner Schwester verlobt. Und der Horatier schrie: Meine Braut heißt Rom Und der Horatier stieß dem Kuriatier Sein Schwert in den Hals, dass das Blut auf die Erde fiel. Als nach Rom heimkehrte der Horatier … Kam ihm entgegen am östlichen Stadttor Mit schnellem Schritt seine Schwester und hinter ihr Sein alter Vater, langsam Und der Sieger sprang von den Schilden, im Jubel des Volks Entgegenzunehmen die Umarmung der Schwester. Aber die Schwester erkannte das blutige Schlachtkleid Werk ihrer Hände, und schrie und löste ihr Haar auf. Und der Horatier schalt die trauernde Schwester: Was schreist du und lösest dein Haar auf. Rom hat gesiegt. Vor dir steht der Sieger. Und die Schwester küsste das blutige Schlachtkleid und schrie: Rom. Gib mir wieder, was in diesem Kleid war. Und der Horatier, im Arm noch den Schwertschwung Mit dem er getötet hatte den Kuriatier Um den seine Schwester weinte jetzt Stieß das Schwert, auf dem das Blut des Beweinten Noch nicht getrocknet war In die Brust der Weinenden Dass das Blut auf die Erde fiel. Er sagte: Geh zu ihm, den du mehr liebst als Rom. Das jeder Römerin Die den Feind betrauert … … Und von den Römern einer rief: Er hat gesiegt. Rom Herrscht über Alba. Und von den Römern ein andrer entgegnete: Er hat seine Schwester getötet. Und die Römer riefen gegeneinander: Ehrt den Sieger. Richtet den Mörder. … Und das Volk bestimmte aus seiner Mitte zwei Recht zu sprechen über den Horatier Und gab dem einen in die Hand Den Lorbeer für den Sieger Und dem andern das Richtbeil, dem Mörder bestimmt Und der Horatier stand Zwischen Lorbeer und Beil … … Und der Lorbeerträger sagte: Sein Verdienst löscht seine Schuld Und der Beilträger sagte: Seine Schuld löscht sein Verdienst Und der Lorbeerträger fragte: Soll der Sieger gerichtet werden? Und der Beilträger fragte: Soll der Mörder geehrt werden? Und der Lorbeerträger sagte: Wenn der Mörder gerichtet wird Wird der Sieger gerichtet Und der Beilträger sagte: Wenn der Sieger geehrt wird Wird der Mörder geehrt. Und das Volk blickte auf den unteilbaren einen Täter der verschiedenen Taten und schwieg …“ Nein, ich werde den Ausgang dieser dramatisch-tragischen Szene nicht verraten, wer ihn wissen will, mag nachlesen. Wichtiger ist mir die Frage: Wie würden Sie entscheiden? Durch das Ermöglichen der Vereinigung von Horatiern und Kuriatiern entsteht eine Macht, die den waffenstarrenden Etruskern siegreich entgegen treten kann und damit möglicherweise hunderten Römern und Römerinnen das Leben zu retten vermag. Was zählt da das Leben der einen unglücklichen Frau? Andererseits, wenn man Geschwistermord, Vatermord, Gattenmord, Kindermord ungesühnt ließe, aufgrund welcher höheren Ziele auch immer, würde die Gesellschaft dann nicht im Chaos versinken? Machen Sie es sich mit Ihrer Entscheidung schön schwer, um mitzufühlen, dass es einen gültigen Schiedsspruch kaum geben kann …

Suggested Citation

  • John Erpenbeck, 2023. "V – Das Vergleichsproblem: Wie weit lassen sich Werte miteinander vergleichen, oder sind sie unvergleichbar, inkommensurabel?," Springer Books, in: Werte: Die Fundamentalprobleme, pages 141-167, Springer.
  • Handle: RePEc:spr:sprchp:978-3-662-67138-2_6
    DOI: 10.1007/978-3-662-67138-2_6
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